Homestory
Brutalismus

Mit dem Vorschlaghammer

Für Brandlhuber, der das Obergeschoss der „Antivilla“ als Wochenendwohnsitz nutzt, war beides nur eine logische Konsequenz der vorhandenen Bauvorschriften: Ein Abriss hätte neben einem massiven Energieverlust horrende Kosten zur Folge gehabt. Ein Neubau an gleicher Stelle wäre nur mit 100 Quadratmeter Wohnfläche genehmigungsfähig gewesen. So stehen ihm und den im Erdgeschoss eingerichteten Künstlerateliers 500 zur Verfügung, inklusive ungewöhnlicher Panorama-Fenster.
Mit dem Vorschlaghammer
Homestory: Catherine Hug

Ein klaffendes Loch in der Wand gibt den Blick auf den See frei. Nicht von einer Abrissbirne, die dem ehemaligen Lagergebäude einer Trikotagen-Fabrik am Krampnitzsee südwestlich von Berlin an den Kragen wollte. Es waren Freunde des Hauses, die auf Einladung von Architekt Arno Brandlhuber und seinen Partnern Markus Emde und Thomas Schneider bis zu fünf Meter breite Öffnungen in das vorhandene Mauerwerk des alten DDR-Baus schlugen. Auch die weitestgehend original belassene Fassade inmitten der Jägerzaun- und Satteldach-Idylle zeugt von einer gewissen Brutalität. Der grau geschlämmte Putz stammt noch aus den achtziger Jahren und unterscheidet sich nur wenig von der neuen, 30 Zentimeter dicken Dachplatte aus Beton.

Anders als manche Nachbarn protzt die Antivilla weder mit ihrer Größe noch ihrem Äußeren. Letzteres ist für so manche:n Betrachter:in sowieso eher brutal hässlich als eine klassische Schönheit. Mit der Fertigstellung gab es teils heftige Debatten um das Erscheinungsbild. „Wir müssen uns von eingeübten ästhetischen Bildern lösen, um auch radikalere Denkansätze verfolgen zu können, die den Fokus auf die Nutzung setzen“, sagte Brandlhuber mal in einem Interview. Diese ist vor allem im Obergeschoss beeindruckend flexibel: Monochrome Wandflächen und eine auf wenige Einzelstücke fokussierte Inneneinrichtung unterstreichen den großzügigen Charakter des offenen Raums, der durch den Abriss zahlreicher Zwischenwände entstand. An ihrer Stelle fungieren nun dünne, aber isolierende Vorhänge als variable Raumteiler. Die sind Teil des ungewöhnlichen Energiekonzepts der Antivilla: Anstatt einer hochgedämmten Hülle setzt Brandlhuber auf thermische Zonierung, also unterschiedliche Klimazonen, die sich je nach Jahreszeit definieren lassen. So reduziert sich im Winter die Wohnfläche auf einen inneren Kern mit etwa 70 Quadratmetern, der durch den zentralen Kamin- und Saunaofen beheizt wird, während in der Zwischenzone drumherum Temperaturen wie in einem Wintergarten herrschen. Im Sommer genießt man dann die (wieder-)gewonnene Großzügigkeit des Gebäudes und den direkten Anschluss an die Natur, lädt Freunde und Familie ein. Ein uraltes Konzept, das nicht nur heutige Gewohnheiten wie überheizte Räume hinterfragt, sondern auch Natur und Jahreszeiten wieder mehr in unser Bewusstsein rückt.

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